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Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten aus einem Alleinvertriebsvertrag in Belgien

Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten aus einem Alleinvertriebsvertrag in Belgien

Rechtsanwälte Christoph Kocks / David Diris* - zum Artikel

 

Am 10.3.2021 entschied das Berufungsgericht Antwerpen ein bemerkenswertes Urteil1 in einem Streit über die gerichtliche Zuständigkeit für Ansprüche aus der Beendigung eines Alleinvertriebsvertrages. Die Leitsätze des Urteils lauten wie folgt:

  1. Eine Streitigkeit über die Beendigung eines Alleinvertriebsvertrages für das gesamte belgische Staatsgebiet ist eine Streitigkeit vermögensrechtlicher Art und somit grundsätzlich schiedsfähig.
  2. Der für Ansprüche aus der Beendigung von Alleinvertriebsverträge anwendbare Art. X.39 des belgischen Wirtschaftsgesetzbuches enthält keinen ausdrücklichen Ausschluss der Schiedsfähigkeit. Das angerufene belgische Gericht war daher nicht zuständig.

Dieses Urteil stellt mit seiner vom Berufungsgericht Gent2 abweichenden Rechtsansicht einen Bruch der bisherigen Rechtsprechung dar.

 

I. Alleinvertriebsrecht in Belgien

Nach belgischem Recht kann ein geschädigter Vertragshändler bei Beendigung eines Alleinvertriebsvertrages mit Wirkung für das gesamte belgische Hoheitsgebiet oder einem Teil davon, den Lieferanten in Belgien vor dem Gericht seines eigenen Wohnsitzes oder vor dem Gericht des Wohnsitzes des Lieferanten auf Entschädigung klagen. Das belgische Gericht hat in diesem Fall belgisches Recht anzuwenden3. Bevor das Alleinvertriebsgesetz (AVG) vom 20.7.1961, das diese Reglung enthält, in das belgische Wirtschaftsgesetzbuch aufgenommen wurde, sah Art. 6 des Alleinvertriebsgesetzes vor, dass die Bestimmungen des AVG ungeachtet anderslautender Vereinbarungen, die vor der Beendigung des Vertragshändlervertrages mit Alleinvertriebsrecht getroffen wurden, gelten. Dadurch wurde das AVG zu einem „loi de police“, einem Gesetz mit zwingendem Charakter. Wollten der Vertragshändler und der Vertragslieferant in einem belgisch-internationalem Alleinvertriebsvertrag dennoch eine Schiedsklausel vereinbaren, schien dies nur unter Ausschluss für Streitigkeiten über die Beendigung des Alleinvertriebsvertrages möglich zu sein, da in diesem Fall der Anwendungsbereich des AVG nicht eröffnet wurde4.

Der Artikel 6 des belg. Alleinvertriebsgesetzes (AVG), der dem Alleinvertriebsrecht seinen zwingenden Charakter verleiht, wurde bei der Aufnahme des Alleinvertriebsgesetzes in das belgische Wirtschaftsgesetzbuch (WGB) im Jahr 2014 nicht übernommen. Die Bestimmung, die dem geschädigten Händler das Klagerecht vor einem belgischen Gericht einräumt, ist seitdem in Art. X.39 WGB geregelt. Ob die Nichtübernahme der Bestimmung des Art. 6 AVG in das WGB vom belgischen Gesetzgeber gewollt war oder verabsäumt wurde, ist bislang ungeklärt. Der Wegfall des Art. 6 AVG bei der Übernahme in das Wirtschaftsgesetzbuch schaffte jedenfalls Rechtsunsicherheit über die zwingende Anwendbarkeit des belgischen Alleinvertriebsrechts und damit über die Zulässigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit für Streitigkeiten aus der Beendigung eines belgisch-internationalen Alleinvertriebsvertrages.

 

II. New Yorker Übereinkommen

Nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche5, hat sich das Gericht bei Vorliegen einer Schiedsvereinbarung grundsätzlich für unzuständig zu erklären und die Parteien an ein Schiedsgericht zu verweisen, insofern die Streitigkeit schiedsfähig ist. Dies gilt nicht, wenn das Gericht feststellt, dass die Vereinbarung erloschen ist, nicht in Kraft ist oder nicht vollstreckt werden kann. Das New Yorker Übereinkommen enthält aber keine Regelung darüber, auf welcher Grundlage die Schiedsfähigkeit einer Streitigkeit zu beurteilen ist. Die Frage, ob das von den Parteien gewählte Recht (lex contractus) oder das Recht des Gerichtsstandes (lex fori) dafür ausschlaggebend ist, ist jedoch keine unbedeutende.

Die Beurteilung der Schiedsfähigkeit der Streitigkeit nach dem lex contractus könnte bei einem Streit über Ansprüche aus der Beendigung eines belgisch-internationalen Alleinvertriebsvertrages nämlich dazu führen, dass die belgische Bestimmung über die Beendigung des Alleinvertriebsvertrages – das Klagerecht des geschädigten Händlers vor einem belgischen Gericht und die Anwendung belgischen Rechts – nicht anwendbar ist. Umgekehrt jedoch, bei Anwendung des Rechts des angerufenen belgischen Gerichts (lex fori), könnte die Schiedsfähigkeit unter Berufung auf die belgische Schutzbestimmung des geschädigten Händlers, abgelehnt werden6.

 

III. Bisherige Rechtsprechung in Belgien

Der belgische Kassationshof hatte erstmals im Jahr 1979 über die Schiedsfähigkeit einer Streitigkeit über die Beendigung eines belgisch-internationalen Alleinvertriebsvertrages zu entscheiden. In diesem richtungsweisenden Urteil sprach er aus, dass eine Streitigkeit nicht schiedsfähig ist, wenn die Schiedsklausel vor Beendigung des Vertragshändlervertrages mit Alleinvertriebsrecht vereinbart wurde und die Anwendung eines ausländischen Rechts bezweckt und bewirkt7. Daraus wurde e contrario gefolgert, dass die Streitigkeit dann schiedsfähig ist, wenn die Schiedsrichter jedenfalls zur Anwendung des belgischen Alleinvertriebsrechts verpflichtet sind8. In der lang erwarteten Entscheidung vom 15. Oktober 20049 konnte die bislang heikle Frage, nach welchem Recht die Beurteilung einer Schiedsklausel bei erhobener Unzuständigkeitseinrede zu erfolgen hat, geklärt werden. Der Kassationshof sprach sich für das Recht des Gerichts, an das der Einspruch gerichtet wurde (lex fori) und nicht für das auf den Vertragsinhalt anwendbare Recht (lex contractus) aus10.

In seinem Urteil vom 14. Jänner 2010 hat der Kassationsgerichtshof entschieden, dass das Gericht bei einer Unzuständigkeitseinrede wegen einer bestehenden Schiedsvereinbarung, die einem ausländischen Recht unterliegt, das Schiedsverfahren ausschließen muss, sofern die Streitigkeit aufgrund aller einschlägigen Rechtsnormen der lex fori nicht der Zuständigkeit des nationalen Gerichts entzogen werden kann11.

Aus der Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofes entwickelte sich der sog. „Tandem“-Ansatz, der die Schiedsfähigkeit bei der Beendigung eines Alleinvertriebsvertrages nur dann annimmt, wenn die Schiedsrichter belgisches Recht anzuwenden haben12.

Ab dem Jahr 2016 zeichnete sich bei den unteren Instanzen eine Trendwende von der vom Kassationsgerichtshof entwickelten Rechtsansicht ab. Zurückzuführen scheint diese Umkehrung vor allem auf die Novellierung13 des Schiedsverfahrens im Jahr 2013 zu sein14. Im Zuge dieser Novellierung wurde der Art. 1676 § 1 belg. ZPO über das Schiedsverfahren geändert und damit der Anwendungsbereich der Schiedsgerichtsbarkeit erweitert. Seitdem sind nicht nur jene Streitigkeiten schiedsfähig, für die eine Vergleichsvereinbarung getroffen werden kann, sondern jede Streitigkeit mit vermögensrechtlichem Charakter sowie Streitigkeiten nichtvermögensrechtlicher Art, die einem Vergleich zugänglich sind15. Unverändert blieb im Zuge der Novellierung jedoch die allgemeine Ausnahme von der Schiedsgerichtsbarkeit in Art. 1676 § 4 belg. ZPO, die besagt, dass die Bestimmungen des Art. 1676 § 1-3 belg. ZPO nur zur Anwendung gelangen, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt16. Seit der Novellierung des Schiedsverfahrens wird in der belgischen Literatur teilweise vertreten, dass der bisherige „Tandem“-Ansatz bereits überholt und die Schiedsfähigkeit von Vertragshändlerrechtstreitigkeiten die logische und ausdrückliche Konsequenz dieser Novelle ist17. Mit Urteil vom 21. Dezember 2016, gab das Handelsgericht Hennegau einer Unzuständigkeitseinrede aufgrund einer bestehenden Schiedsklausel in einem Streit aus einem Alleinvertriebsvertrag statt. In seiner Begründung distanzierte es sich von der bisherigen Rechtsprechung des belgischen Kassationsgerichtshofes, da diese älter als die Novellierung des Art. § 1676 belg. ZPO und daher nicht mehr einschlägig sei18. Eine mögliche Anwendung von Art. X.39 WGB als Ausnahme in Art. 1676, § 4 belg. ZPO wurde jedoch nicht explizit erörtert19.

Auch im Urteil des Handelsgerichtes Antwerpen im Jahr 2017, wurde einer Unzuständigkeitseinrede wegen einer Schiedsklausel stattgegeben, da der Anspruch im Hinblick auf die Gesetzesänderungen dem Gericht zufolge durchaus schiedsfähig sei und man neben dem staatlichen Gericht auch alternative Streitbeilegungsmöglichkeiten eine Change geben wolle20.

Von Bedeutung war in diesem Zusammenhang auch das 2019 ergangene Urteil des Handelsgerichts Hennegau, das nicht nur feststellte, dass die Streitigkeit aus einem Allein- vertriebsvertrag eine Streitigkeit vermögensrechtlicher Natur und daher nach Art. 1676 § 1 belg. ZPO schiedsfähig ist, sondern sich erstmals dazu äußert, dass die Ausnahmeregelung des Art. 1676 § 4 belg. ZPO, der Schiedsfähigkeit von Vertragshändlerrechtstreitigkeiten die von Art. X.39 WGB erfasst werden, nicht entgegensteht21.

Schließlich hat sich auch das Handelsgericht Leuven im Jahr 2020 mit Hinweis auf die Kontroverse über die Schiedsfähigkeit von Vertragshändlerrechtstreitigkeiten für die Schiedsgerichtsbarkeit entschieden und festgestellt, dass der „Tandem“-Ansatz nicht mehr zeitgemäß ist. Es wird darin ebenfalls darauf verwiesen, dass Art. X.39 WGB, der dem geschädigten Vertragshändler das Klage- recht vor einem belgischen Gericht einräumt, keinen ausdrücklichen Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit vor- sieht, weshalb Art. X.39 WGB keine gesetzliche Ausnahme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sinne von Art. 1676 § 4 belg. ZPO darstelle22.

Die sich seit 2016 entwickelte Rechtsprechung zeigt, dass sich bei den Handelsgerichten eine schiedsgerichts-freundliche Haltung entwickelt hat. Dass die Rechtsprechung über die Kontroverse der Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten über die Beendigung von belgisch-internationalen Alleinvertriebsverträgen seitdem jedoch nicht nur in Richtung Schiedsfähigkeit geht, zeigt das Urteil des Berufungsgerichtes Gent. Dieses erklärte sich im Jahr 2018 in einem Streit aus einem Alleinvertriebsvertrag, trotz einer zwischen den Parteien vereinbarten Schiedsklausel, für die Klage zuständig – dies zumindest für jenen Teil des Al- leinvertriebsrechts, das sich auf das belgisches Gebiet bezog23. Da es sich in seinem Urteil nicht über die Novellierung des Schiedsverfahrens in der belgischen ZPO äußerte, blieb unklar, ob sich das Berufungsgericht Gent bewusst von der Trendwende der unteren Instanzen abwendete oder den vom Kassationsgerichtshof entwickelten „Tandem“-Ansatz nur „blind“ angewendet hat24.

 

IV. Urteil vom 10.3.2021, Berufungsgericht Antwerpen

1. Sachverhalt

Im Jahr 2015 wurde zwischen einer Gesellschaft mit Sitz in Österreich und einer Gesellschaft mit Sitz in Belgien ein Alleinvertriebsvertrag abgeschlossen. Für Streitigkeiten aus diesem Vertrag wurde die Durchführung eines Schiedsverfahrens in Österreich vereinbart.

Nachdem der Alleinvertriebsvertrag im Jahr 2018 vom österreichischen Lieferanten gekündigt wurde, machte der belgische Vertragshändler vor dem Handelsgericht Antwerpen Ansprüche aus der Beendigung des Vertrages geltend. Vom Lieferanten wurde die Unzuständigkeit der belgischen Gerichtsbarkeit eingewandt. Das Handelsgericht Antwerpen erklärte die Klage für zulässig.

Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und erklärte das Handelsgericht Antwerpen für unzuständig. Es sprach zudem aus, dass Streitigkeiten über Ansprüche aus der Beendigung von belgisch-internationalen Alleinvertriebsverträgen grundsätzlich schiedsfähig sind.

2. Wesentliche Entscheidungsgründe

Überraschenderweise war das Berufungsgericht Antwerpen der Ansicht, dass auf den gegenständlichen Fall nicht das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüchen zur Anwendung gelangt, sondern das Europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit25. Das Gericht sah den Anwendungsbereich des Europäischen Übereinkommens als eröffnet an, da die zwei in verschiedenen Mitgliedsstaaten ansässigen Vertragsparteien einen mit einer Schiedsklausel versehenen Vertrag abgeschlossen hatten. Die Anwendung des Europäischen Übereinkommens anstelle des New Yorker Übereinkommens wurde aber auch damit begründet, dass das Europäische Übereinkommen jünger als das New Yorker Übereinkommen ist.

Hinsichtlich des anwendbaren Rechts für die Beurteilung der Schiedsfähigkeit, führte das Berufungsgericht aus, dass das angerufene Gericht einer Schiedsvereinbarung die Anerkennung versagen kann, wenn die Streitigkeit nach seinem Recht der Regelung durch ein Schiedsgericht nicht unterworfen werden kann26. Die Frage der Schiedsfähigkeit könne daher nach belgischen Recht beurteilt werden. Da die Gültigkeit der Schiedsklausel und Schiedsfähigkeit der Streitigkeit nach österreichischem Recht von den Parteien jedoch nicht bestritten wurde, sah das Berufungsgericht keinen Anlass zur Versagung der Anerkennung.

Das Berufungsgericht ging in seiner Entscheidungsbegründung darauf ein, dass jede Streitigkeit mit vermögensrechtlichem Charakter nach Art. 1676 § 1 belg. ZPO Gegenstand eines Schiedsverfahrens sein kann. Eine Streitigkeit über die Beendigung eines Vertragshändlervertrages mit Alleinvertriebsrecht für das gesamte belgische Staatsgebiet sei eine solche Streitigkeit vermögensrechtlicher Art. Auch die in Art. 1676 § 4 belg. ZPO vorgesehene Ausnahme, dass Art.1676 § 1 belg. ZPO über den Gegenstand eines Schiedsverfahrens nur gilt, soweit keine spezialgesetzliche Regelung die Schiedsfähigkeit ausdrücklich ausschließt, konnte im gegenständlichen Fall nicht greifen. Zwar sieht Art. X.39 des belg. WGB vor, dass der geschädigte Händler bei Beendigung eines Alleinvertriebsvertrages mit Wirkung für das gesamte belgische Hoheitsgebiet oder einen Teil davon, den Lieferanten vor einem belgischen Gericht auf Entschädigung klagen kann und dieses belgisches Recht anzuwenden hat – was die Schiedsgerichtsbarkeit grundsätzlich ausschließen würde – jedoch, und das ist der springende Punkt, ist die Schiedsfähigkeit in Art. X.39 WGB nicht ausdrücklich aus- geschlossen worden.

Die Regelung des Art. X.39 WGB untersagt dem Berufungsgericht zufolge auch nicht die Schiedsfähigkeiten von Streitigkeiten bei Beendigungen von Alleinvertriebsverträgen im Falle eines internationalen Alleinvertriebsrechts, wenn das Schiedsgericht entweder belgisches Recht anwendet oder aber das durch die Parteien vereinbarte nationale Recht dem Vertriebshändler gleichartigen Schutz bietet.

Außerdem begründete das Berufungsgericht seine Entscheidung damit, dass dem Art. 1676 belg. ZPO aufgrund seiner späteren Novellierung der Vorrang gegenüber Art. X.39 WGB eingeräumt werden muss.

Im Ergebnis vertrat das Berufungsgericht Antwerpen in seinem Urteil die Ansicht, dass die gegenständliche Streitigkeit nach den einschlägigen belgischen Rechtsvorschriften (Art. 1676 § 1 und § 4 der belg. ZPO und Art. X.39 WGB) schiedsfähig ist und somit nicht das Handelsgericht Antwerpen dafür zuständig war, sondern – wie von den Parteien vereinbart – ein Schiedsgericht.27

3. Kritik

Wie bereits eingangs erwähnt, wurde das Alleinvertriebsgesetz (AVG) in das belgische Wirtschaftsgesetzbuch (WGB) aufgenommen. Artikel 6 AVG, der dem Alleinvertriebsrecht seinen zwingenden Charakter verlieh, wurde dabei nicht übernommen. Ob es sich dabei um ein Versehen oder den Willen des Gesetzgebers handelt, ist bis- lang unklar.

Ein Teil der belgische Rechtslehre geht davon aus, dass mit dem Wegfall des Art. 6 AVG der zwingende Charakter des Alleinvertriebsrechts aufgehoben wurde28. Aus den Vorarbeiten zum Gesetz vom 2. April 201429, mit welchem das AVG in das Wirtschaftsgesetzbuch aufgenommen wurde, ist jedoch nicht ersichtlich, dass ein Abweichen vom zwingenden Charakter des belgischen Alleinvertriebs- rechts vom Gesetzgeber erwünscht war. Allerdings stellt sich die Frage, weshalb dieses Versäumnis dann trotz mehrerer Änderungen des belgischen Wirtschaftsgesetzbuches nicht behoben wurde.30

Aufgrund der bestehenden Unsicherheit über den Charakter der Bestimmungen des belgischen Alleinvertriebsrechts, ist die gegenständliche Entscheidung des Handelsgerichtes Antwerpen als Vorinstanz des Berufungsgerichtes Antwerpen umso kritischer zu beurteilen. In seiner Entscheidung spricht das Handelsgericht Antwerpen zwar aus, dass das belgische Alleinvertriebsrecht, so wie es der- zeit im belgischen Wirtschaftsgesetzbuch enthalten ist, in erster Linie noch als zwingendes Recht anzusehen ist, gibt aber nicht an, worauf diese Ansicht gestützt ist31.

Das in zweiter Instanz gegen das Urteil des Handelsgericht Antwerpen angerufene Berufungsgericht Antwerpen führte in seinem Urteil aus, dass die Rechtslehre vom zwingenden Charakter des Alleinvertriebsrechts und einem Versäumnis des Gesetzgebers ausgeht. Dies lässt die Vermutung zu, dass das Berufungsgericht die Ansicht vertritt, dass das Alleinvertriebsrecht nach wie vor einen zwingende Charakter hat, die Übernahme des Art. 6 AVG in das Wirtschaftsgesetzbuch aber vom Gesetzgeber verabsäumt wurde. Die Suche nach einer Begründung des Berufungsgerichts, weshalb das Wirtschaftsgesetz nicht im Nachhinein repariert wurde, bleibt jedoch vergeblich.32

 

V. Conclusio

Im Ergebnis kann die Rechtsunsicherheit über den zwingenden Charakter des belgischen Alleinvertriebsrechts bzw. des Art. X.39 WGB mit der rezenten Rechtsprechung nicht beseitigt werden, da es sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch das Berufungsgericht bedauerlicherweise unterlassen hat, seine Rechtsansicht zum Charakter des belgischen Alleinvertriebsrecht zu begründen und sich mit den Vorstellungen des Gesetzgebers auseinanderzusetzen.

Es bleibt daher abzuwarten, ob sich der belgische Kassationsgerichtshof künftig der Rechtsansicht des hier diskutierten Urteils des Berufungsgerichtes Antwerpen anschließen oder an seiner bestehenden Rechtsansicht, dem „Tandem“-Ansatz, festhalten wird. Eines steht jedenfalls fest: es bleibt spannend!

 

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* Die Verfasser sind Rechtsanwälte und Managing Partner der KOCKS & PARTNERS GmbH in Brüssel.

1 Berufungsgericht Antwerpen, 10.3.2021, 2020/AR/136.
2 Berufungsgericht Gent, 31.10.2018, R. A. B. G., 2020/11.
3 Art 4 des Alleinvertriebsgesetzes vom 27.7.1961, welches durch das Gesetz vom 2. April 2014 in das belgische Wirtschaftsgesetz (WGB) unter Buch X. Art. 35-40 aufgenommen wurde, nunmehr in Buch X. Art 39 WGB.
4 Vgl. Christoph Kocks, Schiedsvereinbarungen in belgisch-internationalen Handelsvertreterverträgen, bfai (Bundesagentur für Außenwirtschaft), 2008, Cologne.
5 New Yorker Konvention 1958, Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UN-Übereinkommen vom 10.6.1958).
6 Vgl. Abraham/Vanderbeeken, Schiedsfähigkeit von Vertragshändler- rechtsstreitigkeiten: überarbeitet, R. A. B.G, 2020/11 Rz 8 f.
7 Kassationsgerichtshof, 28.Juni 1979, J.T., 1979, S. 625, R.C. J. B., 1981, S. 332.
8 Vgl. Hollander, Die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten in Bezug auf die Beendigung von Alleinvertriebsverträgen vorbehaltlich des Gesetzes vom 27. Juli 1961: das Ende der Kontroverse, R. D. C.-T.B. H., 2005/5, 501; Vgl. Abraham/Vanderbeeken, , a. a.O, R. A. B.G, 2020/11 Rz 10.
9 Kassationsgerichtshof, 15.10.2004, R. D. C.-T.B. H., 2005/5.
10 Kassationsgerichtshof, 15.10.2004, R. D. C.-T.B. H., 2005/5; Vgl. Hol- lander, a. a.O, R. D. C.-T.B. H., 2005/5, S. 2
11 Kassationsgerichtshof. 14.1.2010, R. D. C.-T.B. H., 2010/5.
12 Vgl. Abraham/Vanderbeeken,, a. a.O, R. A. B.G, 2020/11 Rz 11.
13 Gesetz vom 24. Juni 2013 zur grundlegenden Änderung von Teil VI des Gerichtsgesetzbuches.
14 Vgl. Abraham/Vanderbeeken, a. a.O, R. A. B.G, 2020/11 Rz 2.
15 Vgl. Art 1676 § 1 belgisches Zivilgesetzbuch.
16 Vgl. Abraham/Vanderbeeken, a. a.O, R. A. B.G, 2020/11 Rz 21.
17 Vgl. J.Erauw zu Handelsgericht Antwerpen, afd. Hasselt, 17.7.2017, R. W., 2018-2019/27, 1074 unter Hinweis auf Hollander, Aktuelle Ent- wicklungen bei Gerichtskonflikten und Schiedsgerichtsbarkeit in Ver- triebsverträgen, Bruylant, 2014, 119.
18 Handelsgericht Hennegau, 21.12.2016, R. D. C.-T.B. H., 2017/9, 1006.
19 Vgl. K. Ongenae, "Schiedsfähigkeit von Vertragshändlerrechtstreitig- keiten nach dem neuen Schiedsverfahrensrecht und Buch X des Wirt- schaftsgesetzbuches: Wenn der Gesetzgeber nicht zu Hause ist, tanzt das Gericht auf dem Tisch?", T. B. H. 2017, 1012.
20 Handelsgericht Antwerpen, 17.7.2017, R. W., 2018-2019/27, 1068.
21 Handelsgericht Hennegau, 28.3.2019, R. D. C.-T.B. H.,2019/3; Vgl. Abraham/Vanderbeeken, a. a.O, R. A. B.G, 2020/11 Rz 33.
22 Handelsgericht Leuven, 19.5.202019, A/20/00034; Vgl. Abraham/Van- derbeeken, a. a.O , R. A. B.G, 2020/11 Rz 35 f.
23 Berufungsgericht Gent, 31.10.2018, R. A. B. G., 2020/11.
24 Vgl. Abraham/Vanderbeeken, a. a.O, R. A. B.G, 2020/11 Rz 39 f.
25 Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961.
26 Artikel VI Abs 2 lit. c des Europäischen Übereinkommens.
27 Berufungsgericht Antwerpen, 10.3.2021, S. 10 f.
28 Vgl. K. Ongenae, a. a.O, T. B. H. 2017, 1011 mit Hinweis auf G.Keutgen und G.-A. DAL, Schiedsgerichtsbarkeit im belgischen und internationa- len Recht, T. I, Bruylant, 2015, 144.
29 Gesetz vom 2. April 2014 zur Einfügung von Buch X "Handelsvertreter- verträge, Vereinbarungen über Handelspartnerschaften und Vertriebs- verträge" in das Wirtschaftsgesetzbuch und zur Einfügung der Buch X eigenen Begriffsbestimmungen in Buch I des Wirtschaftsgesetzbuches.
30 Vgl. Abraham/Vanderbeeken, a. a.O, R. A. B.G, 2020/11 Rz 15 ff.
31 Handelsgericht Antwerpen, 21.11.2019 S.21, A/18/02291.
32 Berufungsgericht Antwerpen, 10.3.2021, 2020/AR/136.

 

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