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Weniger ist mehr, mehr oder weniger...

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Jüngste Entwicklungen im Hinblick auf die Länge des Alleinvertriebsvertrages als Kriterium für die angemessene Kündigungsfrist gemäß dem belgischen Gesetz vom 27. Juli 1961 über die einseitige Kündigung unbefristeter Alleinvertriebsverträge.

Im belgischen Recht fallen bestimmte Kategorien von unbefristeten Alleinvertriebsverträgen unter den Schutzbereich des Gesetzes vom 27. Juli 1961. Gemäß Art. 2 dieses Gesetzes kann der Alleinvertriebsvertrag durch jede Partei – vorbehaltlich eines schweren Verstoßes – nur unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist oder gegen eine angemessene Entschädigung gekündigt werden.

Sofern sich die Parteien nicht über eine angemessene Kündigungsfrist einigen können (hierzu besteht die Möglichkeit nach Ausspruch der Kündigung), wird sich ein Gericht über die angemessene Kündigungsfrist aussprechen. Bei der Festlegung der angemessenen Kündigungsfrist berücksichtigt das Gericht allgemein folgende Aspekte (Umsatz, Vertragsgebiet, Bekanntheit und Reputation der Produkte, ...). Ferner findet u.a. auch die Länge der Vertragsbeziehung Berücksichtigung.

Die belgische Rechtsprechungspraxis ging seit mehr als 45 Jahren einstimmig davon aus, dass, je länger die Vertragsbeziehung dauerte, desto länger sollte die angemessene Kündigungsfrist sein. Im Rahmen der Vorbereitungen zum Gesetz vom 27. Juli 1961 bestand das eigentliche Ziel der angemessenen Kündigungsfrist darin, dem Vertriebshändler ausreichend Zeit einzuräumen, eine neue, gleichwertige Alleinvertriebsbeziehung zu finden. Nach Ansicht der Gerichte sei es umso schwieriger, eine neue gleichwertige Alleinvertriebsbeziehung zu finden, je länger das Vertriebsverhältnis gedauert habe. Daher sollte dem Vertriebshändler auch umso mehr Zeit eingeräumt werden.

In der Zwischenzeit im Jahre 2005 änderte der Kassationshof seine Auffassung im Hinblick auf die angemessene Kündigungsfrist und entschied, dass diese Kündigungsfrist dem Vertriebshändler ausreichend Zeit bieten sollte, gleichwertige Einkünfte zu erzielen, aber nicht notwendigerweise mit einem gleichwertigen Vertriebsverhältnis (1).

Unverkennbar durch die neue Sicht des Belgischen Kassationshofes inspiriert, haben verschiedene Berufungsgerichte einen neuen Ansatz im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der Länge des Alleinvertriebsverhältnisses und der Länge der angemessenen Kündigungsfrist entwickelt.

In mehreren Fällen nach dem Jahr 2005 entschied das Berufungsgericht Brüssel (2), dass ein längeres Vertriebsverhältnis nicht automatisch zu einer längeren Kündigungsfrist berechtigt, und das vor dem Hintergrund, dass ein längeres Vertriebsverhältnis nicht notwendigerweise bedeutet, dass der Vertriebshändler mehr Zeit benötigt, gleichwertige Einkommensquellen zu finden oder mehr Zeit benötigt, seine Kosten der beendeten Vertriebsbeziehung zu reduzieren. Unterdessen haben auch das Berufungsgericht Gent (3) und das Handelsgericht Antwerpen (4) den zuvor erwähnten Automatismus in Frage gestellt.

Man kann nunmehr beobachten, dass die Gerichte sich sogar in die entgegengesetzte Richtung bewegen. In diesem Zusammenhang haben einige Berufungsgerichte (5) entschieden, dass ein langdauernder Vertriebsvertrag dem Vertriebshändler genügend Zeit bietet, seine gesamten Kosten zu reduzieren und Gewinn zu erwirtschaften und rechtfertigt daher eine kürzere Kündigungsfrist.

Diese Änderung der Sichtweise ist nicht von allen Autoren begrüßt worden. Gewisse belgische Autoren sind der Auffassung, dass eine längere Kündigungsfrist dennoch erforderlich ist (6). Eine langandauernde Vertriebsbeziehung schafft die Erwartung, dass die Geschäftsbeziehung stabil ist und sich fortsetzt. Die plötzliche Kündigung einer solchen langandauernden Vertriebsbeziehung ist daher weitaus beunruhigender für den Vertriebshändler.

Diese Autoren glauben, dass eine kürzere Kündigungsfrist im Rahmen eines langandauernden Vertriebsverhältnisses die Jahre der Loyalität des Vertriebshändlers unterbewertet.

 

(1) Cass. 10. Februar 2005, n° C.03.0418.F, www.juridat.be.
(2) Berufungsgericht Brüssel 24. März 2009, n° 2005/AR/1624, www.juridat.be; Berufungsgericht Brüssel 15. Februar 2008, n° 1999/AR/2437, www.juridat.be und Berufungsgericht Brüssel 18. Oktober 2007, DAOR 2008, 129.
(3) Berufungsgericht Gent 24. Juni 2009, n° 2007/AR/3054, www.juridat.be.
(4) Handelsgericht Antwerpen 7. September 2009, n° AR/08/453, nicht veröffentlicht, verwiesen durch BALIE BRUSSEL VIA-NOAB, Distributiecontracten, Herentals, Knops Publishing, 2011, 203.
(5) Berufungsgericht Mons 10. September 2007, T.B.H. 2010, 500 und Berufungsgericht Brüssel 12. Juni 2007, JLMB 2008, 32.
(6) J.-P. FIERENS, A. MOTTET HAUGAARD, T. FAELLI and S. GRIESS, La loi du 27 juillet 1961 relative à la résiliation des concessions de vente exclusive à durée indéterminée. Chronique de jurisprudence (1997-2007), Brüssel, Larcier, 2008, S. 61-62)

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